Säuglingshämangiome: (Probleme und Therapie)
Hämangiome sind die häufigsten gutartigen Tumore beim Säugling und im frühen Kindesalter. Viele
bilden sich zwar spontan zurück, bei einem Teil kann es zu schwerwiegenden Problemen kommen.
Deshalb sollten vor allem Hämangiome an problematischer Lokalisation frühzeitig behandelt werden,
bevor Komplikationen mit allenfalls irreversiblen Schädigungen entstehen.
Einleitung
Trotz der klinisch scheinbar einfachen Diagnosestellung bereiten Hämangiome schon seit über einem
Jahrhundert Schwierigkeiten bei der Klassifikation. Mulliken und Glowacki haben 1980 eine von vielen
Zentren akzeptierte Einteilung präsentiert. Es werden grundsätzlich Gefässmalformationen von
Hämangiomen mit vermehrter Endothelzellproliferation unterschieden. Die klinischen
Erscheinungsformen können zunächst sehr ähnlich sein. Im Hinblick auf eine Therapie ist es aber
entscheidend möglichst früh die richtige Diagnose zu stellen, denn Gefässmalformationen
unterscheiden sich von Hämangiomen nicht nur durch die Ätiologie sondern auch durch Manifestation,
Verlauf und Prognose.
Gefässmalformationen
Bei Gefässmalformationen handelt es sich um dysplastische Gefässe im Sinne einer Anlageanomalie,
ohne zelluläre Proliferation. Die Gefässe sind hypo- oder hyperplastisch und weisen einen
pathologischen Wandaufbau oder einen abnormen Verlauf auf. Die Dysplasie kann Blut- oder
Lymphgefässe betreffen. Man unterscheidet kapilläre (z.B. Naevus flammeus), venöse und arterielle
Fehlbildungen sowie AV-Fisteln und Lymphangiome. Auch Mischformen sind möglich. Malformationen
sind bei Geburt sichtbar, wenn auch nicht immer in ihrer vollen Ausprägung. Sie wachsen im Verlauf
proportional mit dem Kind, ihre Grösse kann aber mit unterschiedlichem Füllungszustand kurzfristig
variieren. Im Gegensatz zu den Hämangiomen zeigen Gefässmalformationen keine spontane
Rückbildungstendenz.
Hämangiome
Hämangiome sind rasch wachsende benigne Gefässtumore ausgehend von den Endothelzellen. Ihre
Ursprung liegt in der Embryonalzeit. Die Organisation des Gefässsystems der Haut ist in den letzten
Schwangerschaftswochen abgeschlossen. Ist diese Reifung postnatal nicht beendet, unterliegen
einzelne Gefässe weiterhin dem Einfluss angiogenetischer Faktoren, die Folge ist eine überschiessende
Proliferation mit Ausbildung von Gefässtumoren.
Wir unterscheiden kutane (85%), subkutane (2%) und gemischte Formen (13%). Die Hämangiome
präsentieren sich bei Geburt nur selten in ihrer typischen Form. In etwa der Hälfte der Patienten
zeigen sich unspezifische kleine Hautveränderungen (white spots, bläulich livide oder
teleangiektatische Veränderungen). In den ersten Lebenswochen beginnt die Proliferation, sie ist am
ausgeprägtesten während der ersten Monate. Nach dem 1. Lebensjahr tritt meist spontan eine
Beruhigung ein. Die Phase der frühen Involution beginnt und über die nächsten Jahre zeigt sich eine
Abblassung und ein Rückgang des Volumens (vgl. Abb.1). Es gibt keine sicheren Faktoren, welche die
Dauer vor allem der Proliferationsphase voraussagen lassen und damit einen Hinweis über grösste
Ausdehnung und verbleibenden Restbefund geben könnten. Zwei Drittel der Hämangiome heilen
vollständig ab, bei den übrigen verbleibt ein mehr oder weniger störender Restbefund mit De- oder
Hyperpigmentierung, überschüssiger Haut, Destruktion oder einer Narbe.
Abb. 1
Wachstum und Involution der Hämangiome.
Auf der Zeitachse sind ungefähre Richtwerte aufgeführt, v.a. in Bezug auf den Beginn der
Involution bestehen aber eine große individuelle Spannbreite.
Probleme
Hämangiome bedeuten für Eltern und das betroffene Kind z.T. eine große psychische Belastung, welche
in der Betreuung mitberücksichtigt werden muss.
Somatische Komplikationen werden bei 8% beschrieben. Dazu gehören:
•
Ulzerationen v.a. im Windelbereich. Die Konsequenz sind Blutungen, Infekte und Narbenbildung.
•
Infiltratives Wachstum mit Destruktion von umliegendem Gewebe
(Nasenknorpel, Lippenrot).
•
Obstruktion von Auge, Nase, Ohr oder Mund mit funktioneller Beeinträchtigung, die zu einer
irreversiblen. Schädigung führen kann (z.B. Amblyopie).
•
Kreislaufbelastung durch große Hämangiome bei kleinen Säuglingen.
•
Bei mehr als 3 Hämangiomen ist die Chance erhöht, dass auch Tumore in den parenchymatösen
Organen vorliegen. Mittels Abdomensonographie sollte in diesem Fall danach gesucht werden.
•
Ausgedehnte faciale Hämangiome können mit weiteren Fehlbildungen vergesellschaftet sein.
Unter dem PHACES Syndrom wird das gleichzeitige Vorkommen von Fehlbildungen des Auges,
cerebralen Fehlbildungen aus dem Dandy-Walker Komplex, kongenitalen Herzfehlern, arteriellen
Malformationen sowie Fehlbildungen des Sternums beschrieben.
•
Als Sonderform unter den Hämangiomen gilt das Kasbach-Meritt-Syndrom. Es handelt sich hierbei
um einen grossen Gefässtumor, der zu einer einer Verbrauchskoagulopathie mit u.U.
lebensbedrohlichen Blutungskomplikationen führt. Entsprechend der neuesten Erkenntnisse
handelt es sich aber nicht um ein echtes Hämangiom. Histologisch ist die Veränderung
vergleichbar mit dem tuften Angiom oder dem kaposiformen Hämangioendotheliom.
Bild I
Hämangiom der Oberlippe mit Infiltration des Lippenrotes und Beeinträchtigung der Mundmotorik.
Bild II
Grosses kutanes Hämangiom im Genitalbereich mit Exulzerationen.
Therapie
Indikation
Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich ableiten, dass es durchaus gute Gründe gibt, Hämangiome
zu einem frühen Zeitpunkt zu behandeln:
Alle Hämangiome in den Problemzonen sollten frühzeitig behandelt werden. Die typischen
Problemzonen sind:
•
Auge: Hämangiome können die Lidöffnung einschränken. Die Occlusion stört die Entwicklung des
Auges, eine Amblyopie kann resultieren
•
Nase: Das Hämangiom der Nasenspitze, auch Cyrano-Nase, stellt ein ästhetisches Problem dar, ein
grosser Tumor kann zudem zur Zerstörung des Nasenknorpels führen.
•
Lippen: Hämangiome der Lippen zeigen insgesamt eine schlechte Rückbildungstendenz und
können zur Beeinträchtigung der Mundmotorik führen. Exulzerationen, die mit einer Narbe
abheilen, sind häufig.
•
Anogenitalbereich: Exulzerationen treten häufig auf. Die Folge sind Blutungen, Infekte und
Narbenbildung.
Auch an anderen Lokalisationen ist aufgrund von Ausdehnung oder Lage des Hämangioms eine
funktionelle oder ästhetischen Beeinträchtigung möglich, die eine Therapie notwendig macht.
Sind bereits Komplikationen aufgetreten sollte ebenfalls therapiert werden, um den Schaden möglichst
einzudämmen.
Ziel
Ziele der Behandlung sind in erster Linie das Erreichen eines Wachstumsstopps und das rasche
Eintreten in die Involutionsphase. Das vollständige Verschwinden einer Läsion steht in der Regel nicht
im Vordergrund unserer therapeutischen Bemühungen. Befindet sich ein Hämangiom in Regression,
kann es dem Spontanverlauf überlassen werden.
Möglichkeiten
Heute stehen eine ganze Reihe von Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Es folgt eine Auswahl von
Behandlungsmethoden, wie sie auch am Kinderspital Zürich zur Anwendung kommen.
Man kann grob zwischen lokalen und systemischen Therapien unterscheiden. Die Wahl der Behandlung
muss individuell getroffen werden, sie ist abhängig von Grösse und Lokalisation der Läsion sowie vom
Therapiezeitpunkt.
Ganz allgemein gilt für die Behandlung von Hämangiomen, dass ausser bei der chirurgischen Exzision,
Erfolge häufig erst nach mehreren Behandlungen sichtbar werden. Dies erfordert oftmals viel Geduld
von Seiten der Patienten und deren Eltern.
Kryotherapie
Das Hämangiom wird mit einem Metallstab, der mit flüssigem Stickstoff auf –195° abgekühlt wird,
vereist. Die irreversible Zellschädigung erfolgt durch die Bildung von Eiskristallen in den
flüssigkeitsreichen Gefässendothelien und dem anschliessenden Auftauen. Dieser Zelluntergang
induziert die Regression und es kommt zu einer Verkürzung der Proliferationsphase. Keratinozyten sind
flüssigkeitsarm, sie werden nicht geschädigt, es entsteht somit auch keine Narbe.
Die Kryotherapie eignet sich vor allem für kleine (<1cm) oberflächliche, wenig erhabene und scharf
begrenzte Hämangiome in der Proliferationsphase. Sie kann in Oberflächenanästhesie durchgeführt
werden und ist als Frühtherapie bei kleinen Säuglingen geeignet. In 70% lässt sich nach einer
Behandlung das Therapieziel erreichen, bei ungenügendem Erfolg kann die Behandlung wiederholt
werden. Die grossen Vorteile der Kryotherapie sind, dass sie nebenwirkungsfrei, für den Patient wenig
belastend, kostengünstig und effizient ist.
Laser
Laser steht für "light amplification by stimulated emission of radiation". Für den medizinischen Einsatz
stehen verschiede Laserqualitäten, vom Infrarot- bis Ultraviolettbereich, zur Verfügung. Durch die
Wahl der Wellenlänge und der Energie kann sowohl die Eindringtiefe ins Gewebe als auch der
Gewebstyp bestimmt werden, der die Laserstrahlung maximal absorbieren soll. In dieser Zielstruktur
enfaltet der Laser seine intesivste Wirkung. Zur Behandlung von Hämangiomen eignet sich unter
anderem der Nd:YAG-Laser, der im Infrarotbereich arbeitet und dessen Energie maximal im Vollblut
absorbiert wird. Durch selektives Erhitzen der Zielstruktur, in unserem Fall Blutgefässe, resp. Vollblut
oder Hämoglobin, kommt es zur thermischen Schädigung, ohne Zerstörung das umliegenden Gewebes.
Man spricht von selektiver Photothermolyse. Die Anwendung ist einerseits oberflächlich und
andererseits intraläsional möglich. Für letzteres wird das Hämangiom punktiert und über einen
Lichtleiter Energie direkt in den Tumor appliziert. Als Reaktion tritt häufig eine Schwellung,
gelegentlich Blasen- und Krustenbildung auf, die aber innert kurzer Zeit abheilen. Die Laserbehandlung
ist schmerzhaft und bedarf bei kleineren Kindern einer Allgemeinnarkose. Um einen Wachstumsstopp
respektive eine beginnende Involution zu erzielen sind durchschnittlich 1-4 Behandlungen notwendig.
Der Nd:YAG-Laser eignet sich also für die Therapie oberflächlicher und insbesondere tiefer liegender
Hämangiome.
Intense Pulsed Light System (IPLS)
Intense Pulsed Light ist ein alternatives Verfahren, das ebenfalls nach dem Prinzip der selektiven
Photothermolyse funktioniert. Eine hochenergetische Blitzlampe strahlt polychromatisches Licht mit
einem breiten Wellenlängenspektrum aus. Mit Hilfe von Cutoff-Filtern kann ein bestimmter
Wellenlängenbereich gewählt werden, daraus ergibt sich eine breite Einsatzmöglichkeit. Das IPLS
kommt v.a. in der Behandlung grossflächiger oberflächlicher Hämangiome, sowie für die Abblassung
von Naevi flammei zur Anwendung.
Diese Behandlung ist ebenfalls schmerzhaft weshalb bei kleinen Kindern eine Allgemeinnarkose
notwendig ist. Auch mit dem IPLS sind meist mehrere Sitzungen erforderlich um das gewünschte
Resultat zu erreichen.
Medikamente
Kortikosteroide
Die positive Wirkung von Steroiden auf Hämangiome ist schon lange bekannt. Der genaue
Wirkungsmechanismus ist unklar. Es werden vasokonstrikive Effekte und eine Inhibition der Angiogenese
vermutet. Intraläsionale Steroidinjektionen führen vermehrt zu Nekrosen und Narben und wurden
deshalb in den letzten Jahren von anderen lokalen Therapien wie Kryotherapie und Laser abgelöst.
Die systemische Anwendung hingegen ist bei grossen schnell wachsenden Hämangiomen an
problematischer Stelle, die auf Kryo- oder Lasertherapie nicht oder zu wenig schnell ansprechen, oder
für diese Therapien nicht zugänglich sind, indiziert. Die mehrwöchige Behandlung wird hochdosiert mit
1-3mg/kg/Tag Prednisolon, begonnen. Bei gutem Ansprechen kann nach 1-2 Wochen die Dosis
stufenweise reduziert werden. Während der Therapie ist eine engmaschige klinische Kontrolle
erforderlich. Häufige Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme und Ausbildung eines cushingoiden
Habitus, Wachstumsstopp, Reizbarkeit und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Diese Nebenwirkungen sind
vorübergehend. Auch die Wachstumsverzögerung wird nach Therapieabschluss wieder aufgeholt.
Nach Absetzen des Medikamentes kann gelegentlich ein Rebound-Effekt beobachtet werden, der eine
erneute Behandlung notwendig macht.
Interferon a 2a
Interferone sind Zytokine, die eine immunregulatorische und antiproliferative Wirkung aufweisen. Die
Wirkungsweise ist noch nicht vollständig geklärt. Man vermutet eine direkte Inhibition
angiogenetischer Faktoren und eine Verringerung der Freisetzung endothelialer Wachstumsfaktoren.
Interferon wird in Form von täglichen subkutanen Injektionen über mehrere Monate appliziert. Häufige
Nebenwirkungen sind Fieber mit Neutropenie und allgemeinen Krankheitssymptomen, ein Ansteig der
Transaminasen und kardiologische sowie neurologische Komplikationen, was eine engmaschige
Kontrolle der Patienten erfordert.
Chirurgie
Die Chirurgie hat einen kleinen Stellenwert, sie kommt v.a. zur Korrektur von Restbefunden nach der
Involution zum Einsatz.
Zusammenfassung:
Hämangiome im Gesicht und im Anogenitalbereich sollten frühzeitig, auch wenn sie noch klein sind,
therapiert werden um Komplikationen und Spätfolgen zu verhindern. Für kleine Hämangiome in der
Proliferationsphase eignet sich besonders die Kryotherapie. Der Grossteil der Hämangiome wird aber
mit Laser behandelt. Medikamentöse Therapien und Chirurgie sind speziellen Situationen vorbehalten.
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